Hemsbach Liederkranz – „Wie zehren von der Substanz“

Februar 2021 (Weinheimer Nachrichten) Vorsitzender Karl Engelsdorfer hofft, dass alle durchhalten und der Chor in der zweiten Jahreshälfte wieder durchstarten kann / Finanziell schwere Zeiten ohne Einnahmen durch Feste

 

Hemsbach. Gewundert hat er sich nicht über die Nachricht vom drohenden Ende des Männerchors 1890 Sulzbach: Karl Engelsdorfer weiß schon länger von bestehenden Schwierigkeiten. „Keinem Chor ist das recht, wenn ein anderer aufgeben muss, aber eingreifen kann man da nicht“, sagt der Vorsitzende des MGV Liederkranz Hemsbach im Gespräch mit den Weinheimer Nachrichten. Noch 2017 feierten die Hemsbacher ein glanzvolles 150-jähriges Vereinsjubiläum, doch nun blickt Engelsdorfer skeptisch in die Zukunft: „Auch bei uns wird sich in den nächsten zehn Jahren entscheiden, wie es weitergeht.“ Was ihm zu schaffen macht, ist der hohe Altersdurchschnitt: Im Verein mit seinen 105 passiven Mitgliedern und 28 aktiven Sängern liegt er bei 77 Jahren.

Viele Chöre sind in Gefahr

Problematisch werde es, wenn die Stimmen nur noch schwach besetzt seien und man zudem mit Ausfällen wegen Krankheit oder hohen Alters rechnen müsse: „Wenn die Stimmen wegbrechen, erfüllt man nicht mehr den Zweck als Chor. Und als Kaffeekränzel kann man sich ja nicht halten.“ Zumal dann auch die geforderte Gemeinnützigkeit wegfalle. Nicht nur der Liederkranz kämpfe mit dem Problem, sondern auch viele andere Ensembles: „Die Chorlandschaft ist nicht so gut aufgestellt, viele Chöre werden vermutlich aussterben“.

Einen Hoffnungsschimmer sahen die Sänger 2019, als drei Neue unter 30 Jahren dazukamen. Dann machten die Corona-Einschränkungen die meisten Veranstaltungen des vergangenen Jahres zunichte, darunter eine öffentliche Weinprobe, die Weihnachtsfeier und vieles andere. Jetzt hofft Engelsdorfer, dass die jungen Sänger dem Verein trotzdem erhalten bleiben, auch wenn derzeit Stillstand herrscht: Singstunden, Konzerte oder Treffen dürfen nicht stattfinden, unlängst wurde auch die Generalversammlung auf den Sommer verschoben. Für die erste Jahreshälfte hat der Vorstand nichts geplant, ein Konzert im Spätherbst wäre allerdings ein Wunsch. Engelsdorfer weiß, dass dafür viel geprobt werden muss: „Es dauert, bis die Stimme nach so langer Pause wieder einigermaßen singfähig ist“.

Im vergangenen Sommer wurde im Freien geübt; der Probenraum im katholischen Gemeindesaal war gesperrt, auch weil dort eine Lüftungsanlage fehlt. Also machten sich die Verantwortlichen auf eine Längere Suche nach Alternativen und fanden sie bei der Tanzschule Aust. Vier Singstunden fanden dort statt, dann kamen die erneuten

Zwangsschließungen im November. Immerhin hat der Verein Glück: Weder Kirche noch Tanzschule erheben derzeit Miete, und auch beim Dirigentenhonorar wurde ein Kompromiss gefunden. Dazu gab es eine einmalige Sonderförderung vom Land Baden-Württemberg in Höhe von 800 Euro: „Das hilft ein wenig weiter, ist aber ein Tropfen auf den heißen Stein, weil alle Veranstaltungen, die finanziell etwas einbringen, ausfallen mussten“. Erleichterung empfindet der Vorsitzende zumindest über die Tatsache, dass kein Mitglied abgesprungen ist und alle

ihre Beiträge zahlen. Allerdings rechnet er damit, dass „sicher einige auf der Strecke bleiben“ und aus Krankheitsgründen nicht mehr kommen. Unterm Strich bleibt ein ernüchterndes Fazit: „Wir zehren von der Substanz, ewig geht das nicht“.

Empfindlich trifft ihn aber das Aus für die traditionelle, alle zwei Jahre stattfindende Fünftagesfahrt. 2019 führte sie an den Tegernsee, 90 Mitglieder in zwei Bussen nahmen teil. Für dieses Jahr gibt es keine Planungen, die Hoffnungen ruhen auf 2022. „Es sind solche Sachen, die einen Verein zusammenhalten“, weiß er und bedauert: „Sie fehlen einfach“. Was noch fehlt, sind das Zusammensitzen, die geselligen Runden vor und nach den Proben. Ersetzen lässt sich das nicht: Telefonate und Mails gehen zwar hin und her, aber an Konferenzen oder Videoschaltungen ist beim Liederkranz nicht zu denken, denn viele Mitglieder verfügen nicht über die technische Ausrüstung. Immerhin, denjenigen, die sie abrufen können, hat Dirigentin Edith Schmitt Dateien geschickt in denen sie die Stimmen verschiedener Lieder einsingt. Engelsdorfer setzt indes auf die Zeit, wenn wieder richtig gesungen werden darf. Dann will er auch ohne Sommerpause weitermachen: „Wenn es wieder losgeht, lassen wir es richtig krachen.“ stk

Das waren noch Zeiten: Im September 2017 feierte der MGV Liederkranz sein 150-jähriges Bestehen. ARCHIVBILD: PHILIPP REIMER